„Integrationspflicht“-Gesabbel und deren Realität

Seitens der CSU werden verpflichtende Erklärungen von Asylbewerbern zur Integration gefordert. Das Grundgesetz soll auf arabisch übersetzt  und  die darin verankerten Werte von den geflüchteten Menschen anerkannt werden. Verstöße gegen diese Vereinbarung sollen dann sogar sanktioniert werden.

Diese Integrationsverpflichtung ist wirklich eine schicke Idee…. Abgesehen davon, dass eine steigende Zahl Deutscher sich schon nicht wirklich an Teile des Grundgesetzes gebunden fühlt, ist das Grundgesetz schon länger ins Deutsche übersetzt. Auch der Bundestag bietet die Broschüre an, aber scheinbar ist der Kontakt mancher bayrischer Politiker zum Bund dann doch nicht wirklich innig.

Zudem ist erst mit der Verschärfung der Asylgesetze Ende Oktober überhaupt erstmalig die Möglichkeit geschaffen worden, dass Asylbewerber bereits im laufenden Verfahren Sprachkurse besuchen dürfen und Integrationsmaßnahmen wahrnehmen können (die einzige wirkliche Verbesserung, und das auch nur halbherzig).

Allgemein bekannt ist, dass die Voraussetzung zur Integration das Erlernen der deutschen Sprache ist. Gut, dass dies auch von der CSU gefordert wird! Schade nur, dass man sich nicht mal vorher schlau macht, wie die bisher angebotenen Kurse bereits genutzt werden. Knapp 90.000 nutzen bereits die seit Ende Oktober angebotenen Sprachkurse. Darüber hinaus rechnet das BAMF in 2015 mit rd. 150.000 Teilnehmern an Orientierungs- und Sprachkursen und mit rd. 300.000 in 2016.

Flüchtlinge nutzen demnach bereits jetzt und ohne jede Vereinbarung in weiten Teilen Integrationsangebote.

Hinsichtlich der erwähnten Sprachkurse gibt es jedoch die nächste schräge Besonderheit: Die seit Ende Oktober nutzbaren Kurse sind nur für Syrer, Iraner, Iraker und Eritreer zugelassen, jene Länder, denen eine „Gute Bleibeperspektive“ zuerkannt wird. Afghanen fallen dabei komplett raus, weil sie eine Anerkennungsquote von „nur“ rd. 45% haben. Sie stellen jedoch die viertgrößte Gruppe der Asylantragsteller.

Dies führt nicht nur zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Unterkünften, sondern auch zu einer unnötigen Benachteiligung von fast der Hälfte der Menschen.

Dazu teilt die Agentur für Arbeit auf unsere Anfrage zur Verlängerung der sofortigen Sprachkurse über en 31.12. hinaus Folgendes mit:

Sehr geehrter Herr Lüder,

eine Förderung von Einstiegskursen nach § 421 SGB III durch die Bundesagentur für Arbeit ist nur für Eintritte von Teilnehmenden möglich, die bis spätestens 31.12.2015 erfolgen. Hierbei handelt es sich um eine Sondermaßnahme durch die Bundesagentur für Arbeit, die sie im Zusammenhang mit der aktuellen Situation mit einer großen Zahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, beschlossen hat. Mit einer Verlängerung dieser Sonderregelung ist derzeit nicht zu rechnen, zumal hierfür eine Gesetzesänderung notwendig wäre.

Mit freundlichen Grüßen

Bundesagentur für Arbeit

Genau die Maßnahme, die im Sinne der Menschen wäre, die erste und notwendigste im Sinne einer schnellen Integration und zudem auch eigentlich bestens in die krude Forderung der CSU passen würde, wird klammheimlich beendet, statt sie zu verlängern.

Vielleicht denkt die Politik mal darüber nach, was sie einerseits fordert, anderen Menschen auferlegen will und dann selbst nicht mal etwas dazu beiträgt.

Der Wille zur Integration scheint auch den Zahlen nach den Menschen nicht mal ansprechbar zu sein. Die Forderung ist deshalb nicht nur blanker Populismus, sondern wird nicht mal vom weiteren politischen Verhalten gedeckt und unterstützt.

Vielleicht sollte sich die CSU mal um konkrete Angebote kümmern, statt Stammtische zu bedienen. Wenn sie es ernst meinen würde, ginge es nicht um nutzlose Vereinbarungen, sondern um eine Hilfe für die Menschen.

 

Offener Brief der Initiativen aus Charlottenburg-Wilmersdorf an den Reg. Bürgermeister

Wir, die in Charlottenburg-Wilmersdorf aktiven Initiativen, haben einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister gesandt, der sich besonders mit den Fragen zur Unterbringung, den vertraglichen Vereinbarungen mit den Betreibern, den Regelungen dazu und den sich für uns daraus ergebenden Fragen beschäftigt.

Diese Fragen beschäftigen gerade mehr oder minder alle Freiwilligen aus Berlin.

Deshalb wollen wir das Schreiben auch gerne teilen. Sobald wir Antworten haben, werden wir diese ebenso gerne und sofort weiter verbreiten.

Offener Brief an den Reg. Bürgermeister Müller

Wir verschenken unsere Chancen! Ein Appell

Berlin im Dezember 2015: Ein Stadt auf dem Weg, sich zu verlieren? 

Der Zustrom von Menschen seit Anfang September, als die deutsche Bundeskanzlerin Menschen von Ungarn nach Deutschland kommen ließ, ist ungebrochen stark. 600 bis 700 Menschen kommen jeden Tag. Und ja – das ist eine gewaltige Herausforderung und hart an manchem Limit. Es ist aber auch eine gewaltige Chance! Für die Menschen, die herkommen und uns, die hier schon leben. Wie wir hier damit allerdings inzwischen umgehen, wirkt teilweise beschämend.

Die Berliner Politik ist während einer der größten Herausforderungen ihrer Geschichte inzwischen komplett im Wahlkampf angekommen und vergisst dabei das, was um sie herum geschieht. Ein Koalitionspartner schafft es, während einer Regierungserklärung des eigenen Bürgermeisters nicht mal zu verhaltenem Beifall. Die andere schickt einen Mitschreiber zu Auftritten eines Senators und berichtet sensationell über einen gedeckten Schlips.

Wir hören etwas von Begrenzung der Flüchtlinge von der einen Partei, mehr Abschiebungen, und erleben einen zunächst mutigen Auftritt des Reg. Bürgermeisters im Parlament, dem aber nur Wenige folgen. Die Opposition glänzt mit Forderungen oder Anprangerungen, aber auch nicht mit Lösungen. Bezirke bocken gegen den Senat bei Turnhallen zur Unterbringung, mauern aber andererseits, wenn es um größere Immobilien geht, die das zumindest teilweise verhindern würden. In fast jeder Pressemitteilung steht, daß der Bezirk sich gewehrt hätte und Turnhallen keine Lösung seien. In keiner las man von den alternativ vorhandenen 200 Plätzen für den gleichen Abend, sondern höchstens man hätte ja was anderes angeboten.

Und alle kloppen sich um das Tempelhofer Feld, wenn es um die zeitweise Nutzung für drei Jahre am Rand für Unterkünfte geht, als ginge es um die nächste Olympiabewerbung oder Hochhäuser statt Drachen steigen lassen und nicht um die Unterbringung von Menschen. Auf einmal fühlt sich die damalige Initiative auch wieder zuständig, obwohl sie sich die ganze Zeit für nicht zuständig erklärte. Und am Ende kippt der ursprüngliche Vorschlag binnen 10 Tagen.

Verschiebt die Wahlen
Um es kurz zu machen – es geht hier nicht um die Argumente des einen oder der anderen. Es geht hier nicht um das Abwägen, wer mehr recht hat. Es geht auch nicht darum, einzelne Argumente zu entkräften oder zu bewerten. Manches ist hier richtig, anderes dort, selten läßt sich das wirklich konsequent einer Partei zuordnen.

Es geht darum, daß die Politik dieser Stadt es scheinbar zunehmend vergisst, die Situation anzunehmen und mit ihr gestaltend umzugehen. Niemand sieht das große Ganze, vielmehr ist billiges politisches Kalkül an der Tagesordnung. Und wenn wir alle Pech haben, haben wir nun noch 10 Monate davon vor uns. Das Ergebnis würde dann das sein, was alle ja verhindern wollen: Die Extremen werden sich verstärken, die Stadt noch mehr zerrissen und unfähig, die gewaltige Aufgabe zu lösen und ebenso ihre Chancen zu nutzen.

Das Beste wäre, wenn die Wahlen verschoben würden. Zwei Jahre vielleicht. Und wenn man sich zu einer Art All-Parteien-Koalition verständigen würde. Die Zivilgesellschaft hat es vorgemacht: Der konservativ-bürgerliche Rentner steht neben der linken Aktivistin, die Arbeitslose neben dem Manager, der Linke neben der CDU-Wählerin (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Sie alle verband am Anfang ein humanitärer Gedanke des Helfens. Dieses Ziel eint diese Menschen über alle Unterschiede und gedanklichen Grenzen hinweg.

Es ist unwahrscheinlich, daß sich diese in Herkunft, Wohlstand, Alter, Interessen und politischer Orientierung so unterschiedlichen Menschen bei irgend einem anderen Thema so zusammengefunden und verbündet hätten. Sie eint einfach eine gemeinsame Aufgabe und Herausforderung, die sie ohne große Vorbehalte angegangen sind. Sicher haben sie unterschiedliche Auffassungen und Ansichten zu manchem Teil-Problem, aber das spaltet sie dabei nicht.

Längst ist bei vielen etwas anderes hinzugekommen: Sie sehen und begreifen die Chance, nicht nur etwas für die hierher geflohenen Menschen, sondern ebenso für sich selbst, uns alle und unsere Stadt zu tun. Sie versuchen zu gestalten und auch zu managen, wo es Verwaltung und Politik oft nicht schaffen und (zumindest teilweise) auch nicht schaffen können. Je mehr man sich mit dem Thema der neuen Menschen hier beschäftigt, desto mehr Chancen kann man erkennen.

Daneben werden andere Menschen wieder lauter, die die Risiken sehen. Manche artikulieren dies auch vernünftig und haben einfach Ängste. Andere bringen die immer wieder gleichen platten und nutzlosen Argumente, selbst, wenn Berlin bisher weitgehend von brennenden Unterkünften und ewig gestrigen Parolen verschont blieb.

Schlimmer sind die, die es nicht artikulieren, sondern sich still die Meinung bilden. Dort spielt die Zerrissenheit der politischen Kräfte nur dem Misstrauen in die Hände. Das Gegenteil wäre vonnöten, das Beschreiben von Chancen und Positivem, selbst wenn man die Probleme beim Namen nennt. Noch hat die Politik das nicht erkannt, weil sie sich zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Stadt und ihre Menschen scheinen dabei manchmal aus dem Blick zu geraten.

Statt diese Herausforderung wirklich anzunehmen, anzugehen und wirklich gestalterisch zu begreifen, hören wir auch hier nur Blaupausen bayerischer Södernis und Seehoferei, die nicht weiterhelfen: Menschen sind hier und werden auch noch kommen. Ob uns das gefällt, man es begrüßt oder harsch ablehnt – es ist einfach so. Damit müssen wir umgehen und für alle das Beste daraus machen.

Herausforderungen als Chancen
Jeden Monat müssen derzeit ca. 15.000 Menschen untergebracht werden. Stimmen die Schätzungen geht das so bis Mitte 2016 so weiter. Über das warum oder warum so viele können wir ja später mal, in ein paar Jahren vielleicht, lamentieren. Diese Menschen kommen dennoch. Das liegt nicht mal groß im Ermessen der Berliner Politk. Wir haben nur die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, mit mit diesen Menschen vernünftig umzugehen.

Dafür brauchen wir zunächst Unterkünfte. Jeden Tag neue, nicht in zwei Wochen mal eine, sondern jeden Tag! Turnhallen sind dabei die schlechteste Lösung, weil die Unterbringung auf das Nötigste reduziert ist und andere, Sportler und in Kürze Schüler, darunter leiden. Dazu bringen genau diese Hallen Teile der Bevölkerung dazu, sich eher am rechten Rand umzusehen, sich als inzwischen dann Betroffene mit Ablehnung zu solidarisieren.

Wenn nun Einige glauben, diese Art der Unterbringung sei ein gewieftes politisches Kalkül, um die Menschen davon abzuhalten, hierherzukommen, der sollte sich an den Eingang dieser Worte erinnern – es ist Wahlkampf. Und keine Partei hat die Absicht, sich die eigenen Wähler zu vergraulen. Und dennoch sind es unverändert rechnerisch 2 Turnhallen am Tag, die benötigt werden. 

Wir hängen nur fest in einem „das geht nicht, das kann nicht, das sollte nicht sein“.

Wir sind dabei die Stimmung in der Stadt aus dem Sommer zu verspielen. Das Glas wird weiter halbleer gequatscht, obwohl es immer noch halbvoll ist. Die Politik trägt dazu mächtig bei, wenn sie gerade – es ist immer noch Wahlkampf – auf Polarisierung setzt statt auf gemeinsames Lösen eines großen Herausforderung. Es ist eine Herausforderung, aber noch mehr eine Chance! Und wem es nicht paßt, daß es eine Chance ist für die Menschen, die hierher flohen, der sollte wenigstens über die eigenen Chancen nachdenken, die die Situation bietet.

Kaum ein Euro, der bisher direkt oder indirekt an geflüchtete Menschen ausgezahlt oder im Umfeld ausgegeben wurde, verlässt Deutschland, vermutlich sogar selten Berlin. Es kommen Bürger der Stadt zu Jobs, es werden hier Caterer, Lieferanten, Sicherheitsdienste, Handwerker und Arbeitgeber bezahlt. Statt sich über ein unerwartetes Konjunkturprogramm die Hände zu reiben, wird lamentiert. Es ginge sogar ganz aktuell einer ganzen Reihe von Menschen ohne Flüchtlinge eher schlechter als mit ihnen. Deutschlandweit spricht man von 0,2% mehr Wachstum hierdurch, also rd. 15% mehr Wachstum als ohne Flucht nach Deutschland.


Ergreift die Möglichkeiten!

Statt uns angucken zu müssen, wie in der Politik Konturen gefeilt, immer gleich klingende Forderungen und Vorbehalte gepflegt und zunehmend die Messer gewetzt werden, gäbe es endlich die Möglichkeit und auch Notwendigkeit, Bürokratie zu durchforsten, abzubauen, Vorschriften und Verordnungen mal auf ihre Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit zu durchleuchten. Wir hätten ohne diesen zunächst äußeren Anlass niemals diese Möglichkeit erhalten. Davon können und werden alle profitieren.

Endlich werden behördliche Abläufe verschlankt werden müssen, wird es auch zu Lösungen kommen, die allen weiterhelfen. Wir werden über Bauvorschriften nachdenken müssen, IT-Probleme, neue Ideen, unkonventionelles Handeln quer über alle Tische und Bänke der bisherigen Strukturen, Zuständigkeiten und provinziellen Befindlichkeiten.

Wir können Zahl, Wege, Laich- und Brutverhalten von Kröten und Vögeln analysieren und für deren Sicherheit sorgen, wenn irgendwo etwas gebaut werden soll. Gut so. Aber wir schaffen es nicht, Wohnungen für Menschen schnell und vernünftig zu bauen, sondern verstricken uns im nächsten halben Meter Dämmung auf der Fassade, der zwar wieder ein Schnapsglas Öl spart, aber dann Mieten von € 12,— plus x benötigt, um sich überhaupt zu amortisieren?

Wir präsentieren Berlin als fortschrittliche und zukunftsträchtige Stadt und haben so oder so schon 40.000 Menschen, die jedes Jahr herziehen wollen – trotz all der Defizite, die es tatsächlich gib oder die wir meinen zu sehen. Nun sind es ein paar mehr. Na und? Die Stadt wird sich noch viel mehr bewegen müssen als sie es an vielen Stellen tut. Die Politik muß nur gerade jetzt ihre Eigeninteressen reduzieren, die sich ohnehin mehr an „Eigen“ denn an Interessen der Stadt und Menschen orientieren.

Wir brauchen einen neuen Plan
Wir brauchen endlich einen Plan und ein Konzept für diese Stadt und den Umgang mit den neuen Menschen. Wir brauchen ihn so schnell es geht und parallel zur Bewältigung des Alltages.

Das nächste Jahr wird eine noch viel größere Herausforderung werden als es 2015 schon war, weil es nicht mehr „nur“ um Unterkunft und Registrierung gehen wird: Wir werden nicht nur fortlaufend weitere Notunterkünfte suchen und eröffnen, sondern auch Plätze, in KiTas, Schulen, wir brauchen Lehrer, Betreuer die Integrationskonzepte aufsetzen. Die Wirtschaft muß sich viel mehr auch zu gesellschaftlicher Verantwortung bekennen und diese wahrnehmen als sie es oft nur dann tut, wenn es um Quartale und Aktionäre geht.

Wir müssen günstigen Wohnraum schaffen, und das so schnell wie möglich. Das ist ohnehin schon dringend nötig und wird es nun noch mehr. Die letzten 15 Jahre der weitgehenden Ignoranz und sogar in größeren Teilen des gezielten Beschädigens des sozialen Wohnungsbaus und der Wohnungspolitik dieser Stadt hat so oder so schon große Löcher zur Folge gehabt.

Die Herausforderungen werden nur größer, weil sie mehr Ressourcen, Personal, Geld und Engagement kosten werden. Und zudem werden sie aufwendiger: 1.000 Flaschen Wasser erfordern ein paar Euro und etwas Logistik, aber dann ist das Problem gelöst. Einer hilft 1.000. Integration ist ein viel härteres „Geschäft“, bei dem es nicht um Masse geht, sondern um Empathie, Geduld und viel mehr Ressourcen. Und dabei müssen wir uns über eines keine Gedanken machen: Es sind keine theoretischen Werte, keine Prognosen, es ist blanke Realität. Das verschafft zwar Planungssicherheit, aber noch mehr Druck.

Ein Appell
Jetzt wird es ganz andere Lösungen brauchen als die, die man sich noch vor 2 Jahren vorstellte. Das einzig gute daran ist, daß es jetzt eben auch die Chance zur Veränderung gibt! Die einzige Voraussetzung ist dabei jedoch eine, die für alle in der Stadt gilt:

Liebe Politik: Hört auf mit den gegenseitigen ständig gleich klingenden Plattitüden! Setzt euch konsequent an einen Tisch, vergesst diese üblichen politischen Rituale! Macht den Job an den Stellen, an denen er eigentlich einfach ist: Sorgt für Strukturen, schnellere Zahlung derjenigen, die ihr zur Problemlösung zwingend braucht und schafft schnell die Voraussetzungen für Lösungen. Nehmt Euch auf allen Ebenen des Regierens und auch Verwaltens die große und ungewöhnliche Koalition der helfenden Menschen als Vorbild! Besinnt Euch auf das, was die Aufgabe ist: Das Beste für die Stadt und ihre Menschen zu tun, nicht für politische Befindlichkeiten!

Hoch verehrte große Koalition der Freiwilligen: Bei allem Respekt vor Euch vielen Engagierten, die Ihr auch seit Monaten über Eure Grenzen geht: Verlangt das nicht nur ebenso von den Regierenden, sondern bringt ihnen auch Offenheit entgegen! Prangert unhaltbare Zustände weiter an, aber arbeitet dabei auch mit an Lösungen. Wir haben bereits eine große Koalition. Wenn, dann ist diese schuld und nicht immer nur die Czajas und Müllers dieser kleinen Berliner Welt. Es ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, weshalb sich da niemand ausnehmen kann und ausgenommen werden sollte.

Verwaltung arbeitet naturgemäß langsamer und komplizierter als man es sich von ihr wünschen mag. Das kann man kaum komplett ändern. Das soll nicht das Versagen an einigen Stellen entschuldigen, aber manch scheinbar Langsames erklären. Nur: Auch dort sitzen Menschen. Manche sind engagiert und umtriebig, andere etwas weniger. Das ist auch dort halt wie im richtigen Leben. Der überwiegende Teil ist jedoch bemüht, etwas besser zu machen und auch zu helfen. Das wird von manchem gerne vergessen, obwohl sie es selbst besser wissen müßten, denn auch unter den Freiwilligen sind viele, die sonst in der Verwaltung arbeiten. Es gibt auch dort keine Grenze zwischen den Menschen.

Alle Freiwilligen arbeiten ja selbst irgendwie und irgendwo und haben sich auch dort mit Bürokratie rumgeschlagen. „Hey Chef, wir brauchen hier mal schnell ein neue Büroräume für morgen mit 20 neuen Schreibtischen, Stühlen, Regalen und PCs“. Soweit bekannt, bleibt Chef oder Unternehmer dann gepflegt sitzen und wiegelt ab. Er springt nicht lächelnd und begeistert in seinen Sprinter und holt das mal schnell in zwei Stunden. Er ruft auch nicht bei der Konkurrenz an, die das für ihn gerne erledigt. Und kein Freiwilliger würde es von seinem Chef auch erwarten.

Freiwillige organisieren dies jedoch in gewisser Weise. Sie leisten Unglaubliches und sind eine tragende Säule in diesem Teil des Lebens geworden. Sie scheren sich nicht um ein „da müßte, könnte, sollte man aber“. Sie machen. Sie können dies aber auch im Gegensatz zur Verwaltung ohne Limitierungen und ohne Rücksicht auf Gesetze und Vorschriften. Sie machen so viel, so konsequent und auch so gut, daß sich die Verwaltung inzwischen darauf auch verläßt. Das kann sie im Prinzip auch, wenn sie denn selbst immer auch an das große Ganze glauben würde, danach handelte und vor allem das freiwillige Engagement nicht als Ersatz für staatliches Handeln billigend in Kauf nehmen würde.

Wir haben gerade Schlägereien größeren Ausmaßes in Unterkünften erlebt. Mindestens die in Tempelhof wird nun von allen möglichen – nicht nur rechten – Seiten dazu missbraucht werden, was an Flüchtlingspolitik generell oder den Plänen in Tempelhof im besonderen falsch ist.

Fakt ist: Wir brauchen jeden Tag weitere Unterkünfte. Wir brauchen wohl auch Tempelhof, wenn auch nicht im derzeitigen Zustand. Was wir aber viel mehr brauchen, ist der Mut der Politik, den Menschen zu sagen, was sie vorhaben und wie die Situation ist. Auch einfach mal nur zu gestehen, daß etwas eben gerade vielleicht nicht geregelt ist. Wir brauchen den Mut, im Denken und Handeln über Grenzen der bisherigen Weltanschauung zu gehen.

Ein Vorschlag: Eine Landes-Flüchtlings-Konferenz.

Ruft eine Landes-Flüchtlings-Konferenz ins Leben. Keine Vorträge, sondern konkrete Pläne zur Umsetzung. Mit allen Parteien, Organisationen, Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen und vor allem den Freiwilligen! Nehmt die Menschen mit, die zu vorerst dabei sind. Verzichtet nicht auf deren Rat und inzwischen ungemein große Erfahrung. Holt Fachleute aller Richtungen von Stadtplanung über UN-Einrichtungen, Beispiele gelungener Integration, Soziologen, die Wirtschaft, Künstler und Philosophen an einen Tisch.

Bildet Thinktanks, kreative Strukturen. Nutzt die Energie und das Engagement all dieser Menschen, die sich so oder so Gedanken machen. Lasst Euch und uns alle inspirieren und öffnen. 

Intensive Vorbereitung, dann eine Woche einschließen. Und am Ende ist dann kein Papst gewählt, aber eine Lösung gefunden. Was sollte denn noch passieren, um eine gesellschaftliche Aufgabe auch mit der Gesellschaft insgesamt zu lösen?

Versteckt endlich Eure Denkverbote! Haut diese ewig gleiche Partei-und Politik-Schablone in die Tonne! Und dies auf beiden Seiten – auf der Seite der Regierenden wie auch der nicht Regierenden, sei es in Parlamenten oder auch außerparlamentarisch.

Es ist keine Zeit und auch kein Platz für kleine Lösungen, sonst überrollt uns die Realität, wie sie es in gewissen Teilen immer wieder mal kurz tut. Wir haben gemeinsam eine Stadt zu entwickeln, sie besser zu machen als sie ist und ihr die Chancen zu lassen und zu geben, statt sie ihr zu nehmen.

Achtet auf uns alle, lasst es nicht zu, daß es zunehmend Spaltungen gibt. Wir sind alle gemeinsam an bestimmte Grenzen gekommen. Nicht Grenzen des Aufnehmens, aber Grenzen der emotionalen Belastbarkeit und vor allem Grenzen der Spaltung, die es vor kurzem so noch nicht gab.

Habt doch endlich einmal wirklich Mut! Und habt auch einen Arsch in der Hose. Den braucht Ihr nämlich zum darauf sitzen beim Nachdenken und Lösungen suchen. Und beim Verkünden erst recht.

 

Ein Blick auf die aktuelle Lage

Im Moment kommen zwischen 600 und 700 Menschen als Asylsuchende täglich nach Berlin. Davon sind aus dem West-Balkan nur noch ca. 5%. Der deutlich überwiegende Teil dieser Menschen wird damit Anerkennungs- oder Bleibeperspektive haben. zwischen 100 und 150 Menschen gehen auch wieder, weil sie z.B. mit Zügen aus Bayern kommen, aber aus unterschiedlichen Gründen an andere Orte wollen.
Es bleiben dennoch „netto“ dann rd. 500 am Tag. Die Anzahl freier Betten in Dauereinrichtungen ist im Grunde null. Die Anzahl der Plätze in Notunterkünften ist ebenfalls nahezu null.
Es werden deshalb zwingend und kaum änderbar jeden Tag NEUE Unterkünfte für rd. 500 Menschen zusätzlich gebraucht und geöffnet werden. Dies sind im Schnitt 2 Turnhallen und noch einen Klacks „oben drauf“. Sofern es Unterkünfte geben kann, die größere Kapazitäten haben, mag sich dies mal tageweise ändern. Aber dabei geht es eben um Tage, nicht um Wochen. Zudem sind diese großen Unterkünfte nicht in unendlicher Zahl zur Verfügung und haben alle unterschiedliche Nachteile, die erst einmal in den Griff bekommen werden müssen.
Es ist nicht unsere Aufgabe, diese Umstände zu verkaufen oder für Verständnis zu werben. Aber wir können rechnen und die Situation beurteilen. Deshalb gehen wir im Moment davon aus, daß nahezu jeden Tag weitere Unterkünfte und vermutlich eben auch Turnhallen benötigt werden und auch als solche eröffnen.
Man kann lange darüber diskutieren, ob dies nun vorhersehbar war, es andere Lösungen geben muß oder müßte, irgendwelche Transitzonen geschaffen werden sollen oder wie man zukünftig weiter verfahren müßte. Im Moment ist es furchtbar egal. Alles was zukünftig kommt, ändert nichts an dieser aktuellen Situation bis mind. Jahresende. Die Menschen sind entweder schon in Deutschland bzw. Bayern, kurz davor oder kommen noch definitiv. Und wir haben die Pflicht, sie unterzubringen und vernünftig zu versorgen.
Es werden deshalb sehr schnell weitere Turnhallen genutzt werden müssen. Die Standards werden auf ein Mindestmaß herabsinken und tatsächlich wird es nun auch für die Bevölkerung Einschränkungen geben: Sportunterricht wird ausfallen und Vereinssport in den Möglichkeiten reduziert. Das alles ist jetzt so. Und es ist nicht schön.
Noch viel weniger „schön“ ist allerdings das Schicksal der Menschen, die hier herkommen. Sie haben noch viel mehr in Kauf genommen und nehmen müssen. Wir müssen hier in dieser Gruppe zu nichts groß appellieren. Aber wir alle haben im Umfeld Menschen, denen diese Einschränkungen nicht gefallen werden. Und wir müssen insofern gegensteuern, daß die gezeigte wahnsinnig wundervolle Willkommenskultur nicht zu sehr Schaden nimmt.
Die Flüchtlinge sind an sich nicht das „Problem“. Es ist nur ein gutes Prozent an Bevölkerung, das dieses Jahr dazukam. Das fällt im Grunde nicht mal auf. In dem Augenblick, wenn es um persönliche Einschränkungen geht, reagieren manche Menschen dennoch ablehnend, selbst wenn sie es in der Frage selbst vielleicht gar nicht sind. Je besser alle darauf vorbereitet sind, desto besser ist man auch darauf eingestellt. Deshalb stellt euch darauf ein – jeden Tag 2 neue Turnhallen, die als Unterkunft genutzt werden müssen. Mal eine mehr und mal eine weniger. Und welche es genau ist, ist kaum vorher zu sagen, nicht einmal von Euren Politikern im Bezirk.
Es ist kein böser Wille, es ist eine Notwendigkeit. Und unsere moralische und ethische Pflicht, anderen in dieser Situation zu helfen. Danke Euch allen für Eure jeweilige Hilfe, Unterstützung, Empathie und gelebte Werte! Manchmal fordert das Leben das, und es ist schwer, das immer und immer wieder zu zeigen und zu geben. Aber Ihr selbst wisst, daß es sich auch verdammt gut anfühlt, uns sehr viel und sehr vieles von diesen Menschen auch zurückgegeben wird. Nochmals Danke an Euch! Auch für die zukünftige Kraft und Arbeit!